10 Jan Wie funktionieren Steueroasen?
Die Gestaltung gerechter Steuersysteme ist in wachsendem Maße eine internationale Aufgabe. Dies ist eine wichtige Folgerung aus der zunehmenden Globalisierung.
Während Europa seinen ökonomischen Zusammenhalt verbessert, erleiden wir gleichzeitig immense Verluste bei den öffentlichen Einnahmen. Verantwortlich dafür ist die Steuerplanung der aggressivsten internationalen Akteure unseres Kontinents.
Jedes Jahr entgehen den EU-Mitgliedsstaaten 170 Milliarden Euro durch grenzüberschreitende Steuerhinterziehung. Davon entfallen 60 Milliarden Euro auf die Gewinnverschiebung großer Unternehmen über EU-Grenzen und 46 Milliarden auf wohlhabende Einzelpersonen. Ein Teil des Schadens ist auch illegal: 64 Milliarden Euro gehen durch grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug verloren.
Diese Verluste werden meist von großen multinationalen Unternehmen verursacht, die sowohl über die Motivation als auch über die Mittel verfügen, um die verschiedenen (gewollten oder ungewollten) Lücken zwischen den Rechtsordnungen auszunutzen.
Insgesamt werden 10 Prozent des BIP der EU in Offshore-Finanzplätzen gehalten. Rund 75 Prozent der Gelder werden Steuerbehörden überhaupt nicht gemeldet.
Da die Länder miteinander um niedrigere Unternehmenssteuersätze konkurrieren (durchschnittlicher Rückgang in Europa um 10 Prozent von 2000 – 2010), müssen Privatpersonen den Verlust ausgleichen. Die durchschnittliche individuelle Steuerbelastung hat mittlerweile ein Rekordhoch erreicht. Gleichzeitig ist es sechs EU-Mitgliedsstaaten gelungen, von den internationalen Unterschieden bei der Unternehmensbesteuerung zu profitieren. Zu diesen Ländern gehören Belgien, Irland, Luxemburg, Malta, die Niederlande und Zypern. Wenn es der Gemeinschaft weiterhin nicht gelingt, diesen Praktiken Einhalt zu gebieten, wird dadurch das Vertrauen und die Solidarität zwischen den Nationen untergraben.
Es ist völlig legal, dass multinationale Unternehmen ihre Gewinne aus dem Land, in dem sie erwirtschaftet werden, in ein anderes Niedrigsteuergebiet innerhalb der EU verlagern. Im Jahr 2016 waren die am stärksten betroffenen Nationen: Deutschland (18 Milliarden Euro), Frankreich (11 Milliarden Euro) und Großbritannien (14 Milliarden Euro).
In den letzten Jahrzehnten hat die EU bei den Steuersätzen für Kapital und insbesondere für Unternehmensgewinne einen Unterbietungswettlauf erlebt: Von einer durchschnittlichen Standard-Körperschaftssteuer von 34 – 35 Prozent in den Jahren 1995 -1999 über 24 Prozent im Jahr 2009 bis hin zu 22 Prozent im Jahr 2019. Dieser internationale Steuerwettbewerb, der vor allem große Unternehmen begünstigt und auf Kosten der Gemeinschaft geht, konnte auch durch die globale Finanzkrise nicht gestoppt werden. In Zahlen ausgedrückt: 2007 machte die Körperschaftssteuer 10 Prozent des gesamten Steueraufkommens in den EU-Ländern aus. Im folgenden Jahrzehnt sank sie um zwei Punkte auf 8 Prozent.
Der Unterbietungswettlauf hat nicht nur Unternehmen, sondern auch den reichsten Einzelpersonen Vorteile gebracht. Bei der Einkommenssteuer sind die Spitzensätze in der EU von 47 Prozent im Jahr 1995 auf 38 Prozent im Jahr 2008 gesunken und seitdem größtenteils stabil geblieben. Von 1995 bis heute haben insgesamt 22 EU-Länder ihre Einkommenssteuer-Spitzensätze gesenkt.
Während Unternehmen, multinationale Konzerne und die Allerreichsten von dieser Entwicklung profitiert haben, vergrößerte sich die Steuerlast für den Rest der Gesellschaft, also für alle Bürger mit mittleren und geringen Einkommen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist dies nicht nur ein treibender Faktor für wachsende Ungleichheiten, sondern auch für die wachsende Unzufriedenheit und das Gefühl der Ungerechtigkeit, das viele europäische Bürger empfinden.
Ein Großteil der Steuerhinterziehung über die Körperschaftssteuer ist technisch gesehen legal. Multinationale Konzerne nutzen genau die Mittel zur Verhinderung von Steuerhinterziehung (z.B. Doppelbesteuerungsabkommen), um steuerneutrale Dividendenzahlungen zu erzielen und die Quellensteuer auf Zinserträge zu vermeiden. Durch die Manipulation ihrer Gewinnerklärungen und die Verwendung spezieller Steuerkategorien (wie Copyright, Gebrauchsmuster und Warenzeichen) kann auch der Transfer materieller Güter vom Vertragsland getrennt werden. Zudem können multinationale Unternehmen die Preise für die innerhalb des Unternehmens bewegten Vermögenswerte verzerren – was oftmals schwer aufzuklären ist, wenn Unternehmen ein Monopol oder Quasi-Monopol auf bestimmte Waren und Dienstleistungen haben.
Durch die Einrichtung von Zweckgesellschaften erzeugen multinationale Unternehmen das notwendige ökonomische und rechtliche Rauschen, um die Verlagerung großer Geldsummen oder Vermögenswerte von einem Steuergebiet in ein anderes zu entschuldigen. Diese rechtlichen Einheiten nehmen in Europa immer mehr zu und machen inzwischen 80 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in Luxemburg und 90 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in den Niederlanden aus.
Wichtig ist, dass die Steueroasen in der EU meist als Zwischenziele dienen. Von dort werden die Gewinne oftmals in traditionelle Steueroasen wie (z.B. Kaimaninseln oder Panama) weitergeleitet.
Ein faires Steuersystem ist eine Herausforderung für die EU als Ganzes. Künstliche Gewinnverschiebungen, Vermögensverlagerungen durch wohlhabende Einzelpersonen und Mehrwertsteuerbetrug kosten die EU jährlich erschreckende 170 Milliarden Euro. Was bei Unternehmen und den Allerreichsten verloren geht, muss durch eine erhöhte Steuerlast für den Rest der Gesellschaft ausgeglichen werden. Mit der Zeit führt dies zu wachsender Ungleichheit, Unzufriedenheit und einem Gefühl der Ungerechtigkeit unter den Bürgern.
Mehrere Länder in der EU – insbesondere die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Zypern, Malta und Irland – verschärfen das Problem durch rechtliche Regelungen, von denen sie zwar selber profitieren, die aber den Zusammenhalt der EU verschlechtern und den Solidaritätsgedanken beschädigen.
Es gibt einige Möglichkeiten, die aktuellen Probleme zu beheben. Zu den vorgeschlagenen Lösungen gehören der Abgleich der EU-Mitgliedsstaaten mit der Schwarzen Liste der Steueroasen (EU-Liste der nicht kooperativen Steuergebiete), die Ermächtigung der Europäischen Kommission zur Sanktionsverhängung gegen Steueroasen, die Festlegung eines europaweiten Mindestsatzes für die Körperschaftssteuer und die Einführung einer EU-weiten Lösung und gemeinsamen Front gegen Steuerhinterziehung.
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